Thesen zur Rekonstruktion der keltischen Glaubensvorstellungen 7
Theses on celtic religion   webmaster@gruenverlag.de    Thèses sur la religion des celtes
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MÜTTER

Das Konzept Mütter ist als solches nicht in einer keltischen Quelle festzumachen, wohl aber aus einer Vielzahl von Themen zu erschließen, nicht zuletzt auch aus bestimmten Benennungen. Mütterliche Göttinnen sind weit verbreitet, z. B. Ana und Dana bzw. Don, der Flussname Marne geht auf Matrona zurück. Modron, ebenfalls auf Matrona oder auf Mater zurückzuführen, ist eine zentrale Gestalt der kymrischen Überlieferung, Y Mamau sind ebendort bestimmte Feen.

Das überlieferte Konzept umfasst verschiedene Inbegriffe, die in dem Wort Mutter semantisch enthalten sind: Ursprung, Ahnen, Fruchtbarkeit, Nährende, Mutterschaft, Neues Leben, Magische Macht, Souveränität.

AHNENFIGUR

An verschiedenen - und vermutlich durch die Art des Überkommens zufälligen - Stellen wird eine götterhafte Gestalt als Ahnenfigur bezeichnet. Viele Aspekte von Ahnenfigur und Mutter (Mutter Erde) vereinen sich bei Ana/Dana, weiter sind aber auch die männlichen Beli, Lyr und Nuada zu nennen. Vermutlich war die Ahnenvorstellung über diesen Personenkreis hinaus verbreitet und hat zu späteren Zeiten, nach dem Wechsel von Matriarchat zu Männerkultur, auch männliche Ahnen eingeführt. Sie stehen, so heißt es, jeweils am Beginn von Dynastien. Zumindest im kymrischen, aber auch im irischen Bereich wurde der Verweis auf die jeweiligen Ahnen als theokratische oder traditionsgerechtfertigte Fundierung der jeweiligen Herrschaft verstanden und benutzt. Dies ist ja auch aus anderen Kulturen und Mythologien bekannt.

Da wo die Rede von "Ältesten Wesen" ist, etwa Fintan, da ist nicht ältestes Wesen überhaupt gemeint, sondern eben der erste, der begründende Mensch, und als Primordialmenschen im Sinne von LeRoux/Gyonvarc'h gehören sie zu den Ahnenfiguren.

Insgesamt beweist dies eine Vorstellung von Ursprung und Geschichtlichkeit, also von Herkunft im Gegensatz zu Zukunft. Zukunft wurde im Bereich der Anderwelt gesucht, Ursprung, Herkunft der eigenen Person, des Geschlechts, des Volkes - dies ist eine Ausprägung des Mutterhaften.

ÄLTESTE WESEN

In die gleiche Ursprungsrichtung wie die Ahnenfiguren weist die verbreitete Vorstellung von Ältesten Wesen. Als solche fungieren verschiedene Tiere, welche aus der umgebenden Natur, also nicht als Haustiere, bekannt waren. Ihnen war eine gewisse Art von Unvergänglichkeit eigen, die zeitlose Dauer von Natur oder vielleicht eher die ewige Wiederkehr der Naturerscheinungen im jahreszeitlichen Wechsel. Zu diesen Tieren zählte man den Lachs, die Kröte, den Kranich (als Wandelgestalt von Miadhach), der Adler, die Amsel, die Eule und der Hirsch. Hier schimmert die Erkenntnis hervor, dass in den Tieren bestimmte grundlegende Züge erhalten sind, die sich auch beim Menschen finden, dort aber als archaisch, überwunden, unmenschlich gelten. Der Mensch hat mit den Tieren gewisse Züge gemein, ist im übrigen aber in seinen wesentlichen Zügen eben Mensch.

URSPRUNG DES LANDES

Über die in den vorhergehenden Abschnitten dargestellten Formen von als weiblich interpretierten Ursprüngen gehen noch die Bilder hinaus, mit denen der Ursprung landschaftlicher Elemente aus dem Wesen des Weiblichen gezeigt wird.

Ana/Dana, ohnehin Figur der Urmutter, der Ahnin, bringt mittels ihres Urins einen See hervor, den Loch Gur. Sie ist damit auch die Mutter Erde. Von anderen Seen heißt es, sie seien aus dem Urin göttlicher Stuten entstanden. (Über die Parallelisierung von Frau und Pferd siehe unten. Dies dürfte eine andere Fassung des gleichen Bildes von der chthonischen Göttin, der Mutter Erde sein.

Leicht wird das Bild verschoben, wenn der Blutfluss der Königin Medb (Urbild für Frauenherrschaft und Souveränität) drei tiefe Kanäle in den Erdboden spült.

FRUCHTBARKEIT

Fruchtbarkeitsassoziationen greifen an Personen, an Tiere und an das Wasser an. Wegen der inneren Verflechtung von Assoziationen ist eine lineare Darstellung immer problematisch, muss aber hier hingenommen werden. Die beteiligten Komponenten Frau, Rausch, Pferd, animalische Sexualität, Gebären, Königstum und Wasser bilden insgesamt einen nicht zu trennenden Komplex.

Medb ist die Allegorie von Sinnenrausch und zugleich von Frauenherrschaft. Sie wird in Menschengestalt dargestellt als verführerische, lüsterne Frau, die als Königin nacheinander vier Ehegatten hat, dazwischen aber jeden Mann, den sie haben will. Da sie andererseits in göttlicher Gestalt die Königsherrschaft verleiht, muss jeder König sich mit ihr vereinigen. Dies wiederum ist vermischt mit einem Fruchtbarkeitsritus. Vieles hat sie mit der indischen Madhavi gemeinsam, die nach einer jeden Geburt wieder Jungfrau war.

Medbs männliches Pendant, der einzige Partner, der sie befriedigen kann und der in ihr die einzige findet, die ihn befriedigen kann, ist Fergus, welcher die Stärke von 700 Mann hat und dessen großes Glied gerühmt wird. Ihm gebiert Medb Drillinge.

Fergus wiederum ist - wie an mindestens einer Stelle auch Medb - mit Pferden assoziiert. Pferde gelten wie Stiere als Symbol der Fruchtbarkeit (neben den vielen anderen Funktionen, die sie auch haben). Der gewählte Hochkönig von Irland zu Tara muss sich mit einem Pferd vermählen, und damit rücken wieder Souveränität als Mutter-Thema und Pferd und Fruchtbarkeit zusammen: die tierische Vermählung sollte die Fruchtbarkeit des Landes sichern, was als eine der wichtigsten Aufgaben des Königs angesehen wurde. (Dies belegt nebenbei, dass auch das keltische Königstum aus der 'great provider'-Tradition stammt, wie M. Harris generell für die Staatsentstehung annimmt.)

Die schwangere Macha besiegt ein Pferd im Wettlauf - das ist eine Allegorie der animalischen Fruchtbarkeit - und gebiert anschließend Zwillinge.

Der Befund, dass Muttergöttinnen gern mit Quellen assoziiert werden - auch Medb wird ja mit seltsamen Handlungen am Wasser angetroffen - und dort ihren Verehrungsort haben, wird als Symbol für Fruchtbarkeit und Leben spendende Kraft gesehen. Das beginnt schon bei den liebenden Vereinigungen am und im Wasser: Dagda hat nicht nur ein Liebesverhältnis mit Boand, der Frau, die dem Fluß Boyne den Namen gibt, er vereinigt sich auch mit der Morrigan, immerhin eine archaische Muttergöttin, im Wasser des Flusses Unias. Conchobar, der als Parallelgestalt zu Fergus gesehen werden kann (mit Macha ist er durch Pferde assoziiert und wird von Fergus im Königsamt vertreten) vergewaltigt Medb am Fluß Boyne.

KEUSCHHEITSTEST; JUNGFERNSCHAFT

Unklar ist im Zusammenhang der Mütter und des Themas Fruchtbarkeit, welche Stellung die Unberührtheit einnimmt. Manches spricht dafür, dass die Schwäne und vielleicht deren verbindende Ketten ein Hinweis auf Jungfräulichkeit ist. Zudem gibt es an mehreren Stellen Anspielungen auf Keuschheitstest. Bei Caradawc und Tegau Evrwron Goldbrust wird Keuschheit vermittels eines Trinkhorns ermittelt, welches wiederum Symbol der Fruchtbarkeit ist (vgl. Füllhorn); bei Arianrod und in Märchen durch Überspringen eines Stocks oder auch durch einen Mantel. In keinem dieser Fälle ist ersichtlich, auf welche Weise genau die Keuschheit nachgewiesen wurde.

Nicht ersichtlich ist auch die Bedeutung von Unberührtheit in der keltischen Kultur. Vielleicht ist sie eine christlich-mittelalterliche Ersetzung einer anderen, später nicht mehr verstandenen keltischen Funktion.

DIE NÄHRENDE

Die nährende Mutter tritt nur an einigen Stellen in Gestalt von besonderen Brüsten in Erscheinung. Im irischen Da Chich Anann werden zwei Berge mit den beiden Brüsten von Ana gleichgesetzt. Ana, eine der häufiGsten Mutterfiguren, gilt auch als die Ernährerin der Götter. Drei Brüste werden sowohl Fuinche wie auch Gwenn Teir Bronn nachgesagt. Und wenn man Branwen als Bronwen liest, wie in einem Fall überliefert, so ist sie die mit der weißen Brust, und das kann ja heißen: mit der milchspendenden Brust.

Auffällig ist aber die Bedeutung der Milch an zahlreichen Stellen.

In vielen Märchen stehlen Hexen Milch. Das könnte man rein wirtschaftlich verstehen, weil Rinderzucht und Milchwirtschaft eine bedeutende Rolle spielten. Doch ist bemerkenswert, dass auf einem Megalithen einer Gruagach Milch geopfert wurde! Der Name Gruagach steht etymologisch dem für Hexe sehr nahe. Hier scheint ein alter Opferritus durch, in welchem der Milch eine Rolle als zu opfernder Wirtschaftsertrag zukam.

Milch hat daneben eine Bedeutung als Heilmittel oder als Mittel gegen Gift. Die Milch aus Conall Cernachs Kopf hat nährende Eigenschaft, sie hilft den Ultern aus ihrer (Kindbett)Schwäche heraus, welche ihnen der Fluch von Macha eingetragen hat. Das bedeutet: der Entzug der Fruchtbarkeit ist durch Milch, ein anderes Zeichen von Fruchtbarkeit wieder aufzuheben.

MUTTERSCHAFT

Mutterschaft spielt eine zentrale Rolle in dem Zusammenhang, der mit Mabon vab Genoveva unten eigens dargestellt ist.

Daneben finden sich verschiedene Darstellungen von Jugend, etwa bei Mabon, bei Oengus Mac ind Oc, der Jugend schlechthin ist. Die Mutter nimmt in diesen Fällen eine besondere Stellung ein: bei Mabon siehe unten, bei Oengus ist es das verbotene Verhältnis zu Boinda (die ein fruchtbarer Fluss ist).

Schließlich ist es noch der hüllende Schutz, welcher als mütterliches Merkmal angesehen werden kann: Oengus bewahrt die verwandelte Etain in einem Käfig vor der Verfolgung und schützt Grainne mittels eines Mantels vor Finn. Merlin geht in ein von Viviane gehütetes Glashaus. (Die Nähe zum Thema Gefangenschaft ist jedoch auffallend.)

 

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