Für einen normalen
Kelten, besser vielleicht: einen durchschnittlichen Bewohner des
vorchristlichen, vorrömischen eisenzeitlichen Mittel- und Westeuropa stellte
sich die Welt vielleicht in folgender Weise selbstverständlich dar:
Das Leben war sehr stark
bestimmt vom Wechsel der Jahreszeiten und den damit verbundenen Abläufen,
Änderungen und Wiederholungen in der Natur, in Wald, Feld und Garten und in den
darauf bezogenen menschlichen Tätigkeiten. Tag und Nacht, Dunkle und helle
Jahreszeit, Wachstum, Ernte und Brache, Wandel der Gestirne und die Festtage an
den Eckpunkten dieser Zyklen gaben den äußeren Rahmen, sie setzten die
Bedingungen für das menschliche Handeln.
In diese Welt hinein oder
auch durch sie hindurch wirkten zahlreiche Kräfte und Mächte. Sie kamen
überwiegend aus einer anderen Welt, welche diese irdische Welt umgab und
durchdrang, einer Welt, die alles Unbekannte und Geheimnisvolle, aber auch alles
Bestimmende und Entscheidende enthielt. Dort und von dort aus wirkten
übermenschliche Wesen; einige von ihnen waren das Land, in dem man lebte, und
die Ahnen der Familien, des Volkes und der Menschen überhaupt. Andere waren den
Menschen erkennbar als Sonne, als Wasser in allen seinen Erscheinungsformen, als
Bäume, als Tiere. Die verschiedensten Gestalten vermochten sie anzunehmen,
fremde, ungeheure, aber sie konnten wiederum auch in die Gestalt von vertrauten
Tieren oder sogar Menschen schlüpfen. Vor allem als Tiere erschienen sie auf
der Erde, manche von ihnen auch in der Gestalt von Magie-kundigen Menschen. Sie
brachten Heil und Unheil, steuerten Kriege und Segen.
Von der undurchschaubaren
Regelhaftigkeit der Anderen Welt wurde auch diese irdische Welt bestimmt, so
zuverlässig, daß überlegenere Menschen diese Regeln lernen konnten und als
Weise oder Druiden den anderen Menschen deutend zur Seite standen. So gab es
bestimmte Zeichen, die von der Anderen Welt ausgingen und gelesen und befolgt
werden konnten, es gab gute und schlechte Tage und eine Fülle von Regeln, wie
man sich bei Kenntnis dieser Regeln zu verhalten hatte.
Gewisse Stellen in der
Welt dienten den Bewohnern der Anderen Welt zum Überwechseln in die irdische
Welt zu und bestimmten Zeiten, nämlich an den Eckpunkten zwischen der dunklen
und der hellen Jahreszeit, geschah dies besonders leicht,.
Für die irdischen
Menschen führte auch ein Weg in die Andere Welt, das war der Tod. Kam der
Mensch durch die Erde oder durch Wasser, durch Feuer oder durch Luft in die
Andere Welt, so konnte er damit rechnen, dort weiterzuleben. Da nun die
anderweltlichen Wesen in der Lage waren, in diese Welt herüberzuwechseln,
konnte man nie sicher sein, daß nicht ein Verstorbener wiederkehrte. Oft genug
geschah das auch, sei es, daß der Verstorbene kam, um noch eine Angelegenheit
zu erledigen, sei es, daß er kam, um den nächsten Sterbenden mit dem Wagen
abzuholen, sei es aus anderen Gründen. Man konnte eine Wiederkehr verhindern,
wenn man dem Toten den Kopf vom Leib trennte und dafür sorgte, daß die beiden
Teile nicht wieder zusammengelangten.
Trennte man den Kopf vom
Rumpf, bevor der Mensch gestorben war, so mußte man damit rechnen, daß der
Kopf allein am Leben blieb. Das war aber nicht oft der Fall und blieb stets ein
berichtenswertes Ereignis. Im Kopf steckte das Leben, genauer im Blut, das vom
Kopf zum Herzen lieb und den Menschen am Leben erhielt.
Man erzählte sich auch
von einigen Menschen, die noch vor dem Sterben in andere Menschen oder Tiere
übergingen und ein neues Leben begannen, manche sogar mehrmals. Freilich war
das nicht das Übliche und man mochte bezweifeln, daß es sich um Menschen
handelte und nicht viel eher um anderweltliche Wesen.
Überhaupt wurden –
meist von den Druiden – unglaubliche viele und viele unglaubliche Geschichten
erzählt, aus denen man erkennen konnte, was sich in der Anderen Welt und unter
ihrem Einfluß in dieser Welt abspielte.
Führt der Tod in die
Andere Welt, so kommt das Leben wieder aus ihr hervor. Alles, was mit Erzeugung
von Neuem, mit Wachsen und mit Fülle zu tun hatte, aber auch das schwellende
Wasser der Flüsse oder der Seen, das Land, das dem Volk die Nahrung bot und
auch die spendende, überfließende Sonne – all dies stand in der Macht von
anderweltlichen Wesen, die den Menschen als Frauen vorstellbar waren oder
gegenüber traten, als Mütter, Herrscherinnen, oder als grausige Alte Viele der
Ahnen, die das Volk ins Land geführt hatten oder die die Herrschaft begründet
hatten, waren solche anderweltlichen Mütter. Sie hatten eine eigene Vorliebe
für die Menschen.