WIEDERBELEBUNG
Wenn Tod und Sterben nichts als ein Übergang
sind, dann sollte es auch einen Übergang in die andere Richtung geben, von der
Anderwelt in die Diesseitswelt. Die Eingänge in die Anderwelt könnten auch
deren Ausgänge sein.
Einen solchen Übergang gibt es allerdings
nicht als Selbstverständlichkeit, sondern nur unter bestimmten Bedingungen.
Anders gesagt: Dem Weg aus der Anderwelt fehlt die Natürlichkeit, die der Weg
in das Jenseits für uns hat.
DianCecht kann eine Quelle nicht allein zu
Heilzwecken verwenden, sondern bringt mit ihrer Hilfe auch die Krieger der
Zweiten Schlacht von Moytura wieder ins Leben zurück. Über Wiederbelebung
durch Wasser in Verbindung mit dem Kopf ist oben berichtet worden; zumeist ist
die Wiederbelebung jedoch begrenzt und vorübergehend.
Der Kessel ist gleichfalls ein Weg in die
Anderwelt, der auch als Rückweg dienen kann. Brans Kessel, aus dem die
gefallenen Krieger lebend, wenn auch ohne Sprache wieder hervorgehen; Dagdas aus
Murias stammender, wie Brans also von Britannien nach Irland verbrachter)
Kessel ist nicht nur eine Art Füllhorn, sondern belebt auch Tote; Brannoc (mit
Anklängen an Bran) kann eine Kuh durch Kochen im Kessel wieder beleben. Ein
versehentlich in einem Kessel gekochter Junge wird wieder ins Leben gebracht -
unübersehbar die Parallele zu Tantalus' Sohn Pelops.
Das bei rituellen Tötungen oder anderen
Gelegenheiten in Kesseln gesammelte Blut hatte wohl die Aufgabe, das ausrinnende
Leben aufzubewahren und wiederzugeben. Das ist auch eine Deutung für den Gral
(Sang Réal), die zugleich den christlichen Aspekt des Saint Gral beträfe. Im
Saint Gral nämlich sollte das von Joseph von Arimathäa aufgefangene Blut des
sterbenden Jesus bewahrt sein - auch hier ist die Parallele der
Auferstehungsmythen unübersehbar und auch die Leichtigkeit, mit welcher man
keltische und christliche Inhalte zum Verschmelzen zu bringen vermochte.
Blut als Pforte zur Anderwelt ist auch ohne
den Kessel ein Mittel der Wiederbelebung. Wird der Tote oder der abgetrennte
Kopf mit seinem eigenen Blut bestrichen, so kehrt er ins Leben zurück. Aber
auch dieser Vorgang scheint auf besondere Fälle eines unverschuldeten oder
verdienstvollen Lebens begrenzt zu sein. Gleiches dürfte für die Art von
Wiederbelebung gelten, die herbeigeführt wird, indem Kopf und Leib aneinander
gesetzt werden (siehe etwa oben den Verweis auf Triphyna oder Gwenfrewy). Th. Manns Erzählung von den vertauschten Köpfen enthüllt die
indoeuropäische Wurzel dieses Themas.
Eine eigene Form von Wiederbelebung findet
sich im Umkreis von Bäumen: Aillinn und Baile wachsen als Eibe und Apfelbaum
aus dem gemeinsamen Grab heraus; Wurzeln von Friedhofs-Eiben (oder vielleicht
vom sogenannte Lebensbaum?) wachsen in die Münder von Toten hinein; aus diesen
wachsen Lilien heraus; aus Loch Gur, in welchem alle sieben Jahre Menschen
ertränkt werden, wachsen ebenfalls alle sieben Jahre Bäumen heraus; auf Miachs
Grab, in das er kam, weil er wegen unerwünschter Ausübung der Heilkunst von
seinem Vater DianCecht erschlagen wurde, wachsen 365 Heilpflanzen. In all diesen
Fällen bringt die Wiederbelebung einen Gestaltwandel mit sich, also einen Wechsel
der Identität.
Obskur ist die Rolle des Schweines bei der
Wiederbelebung. Eine Frau, welche sich Sau nennt, vermag ihre Söhne ins Leben
zurückzuholen. Auch Brannoc (s. oben) ist mit Schweinen assoziiert.
Dagdas Keule, mit welcher er Krieger
erschlägt, kann auch wieder ins Leben zurückrufen - dies ist die höchste
Verdichtung der Polarität von Tod und Wiederbelebung, ist allerdings nur ein
Einzelfall, ein Sonderfall und eben an Dagda, eine der größeren
Göttergestalten, gebunden. Diese Polarität von Tod und Leben in Dagdas Keule
lässt sich nach heutigen Vorstellungen mit dem Wort Energie kennzeichnen. Blitz
und Lebenskraft mögen die archaischen Symbole gewesen sein.
Wiederbelebung unterscheidet sich von Belebung
(durch Geburt) dadurch, dass nicht alle daran teilhaben. Es liegen stets
besondere Umstände vor, sei es, dass gefallene Krieger wieder benötigt werden,
sei es, dass eine Untat wieder behoben werden soll, also ein Todesfall nicht
hingenommen werden soll. Wiederbelebung ist Ergebnis von Wunschdenken.
Wiederbelebung hat außerdem das Charakteristikum, dass ein vorheriger Zustand
nicht völlig wieder erreicht wird, sei es, dass die Krieger stumm sind, sei es,
dass allein der Kopf wiederbelebt wird oder lediglich sprechfähig wird, sei es
dass die Menschen als Blumen oder Bäume wiederkehren.
Wiederbelebung ist andererseits oder
konsequenterweise zu unterscheiden von Wiederkehr der toten Seelen, die eben in
ihrem Zustand des Verstorbenseins verharren und nicht das für lebende Menschen
typische Aussehen annehmen. Und außerdem ist Wiederbelebung auch zu
unterscheiden von Wiedergeburt.
Leben als Kehrseite des Todes oder eine
besondere Dialektik von Tod und Leben ist bei agrarisch bestimmten
Gesellschaften zu erwarten. Denn wo der Winter als notwendige Vorstufe des
Frühlings und des Wiederauflebens erkannt wird, wo die Nacht als notwendige
Regenerationsphase des Tageslichts angesehen wird, da hätte man derartige
Vorstellungen auch auf das Sterben der Menschen übertragen können. Doch
scheint das nicht in regelhafter Form geschehen zu sein. Es war folglich nicht
selbstverständlich, den Menschen in die Naturvorgänge einzuordnen.
Schema zum
WANDEL DER SEINSFORMEN |
I. Wiederkehr nach dem Tode
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II. Wandel ohne vorausgegangenes
Sterben
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I.1.
Erscheinung als Toter, Revenant oder
ähnliche Bezeichnung. Verstorbener bleibt verstorben und kommt nur zu
bestimmten Zwecken und zumeist begrenzt wieder.
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I.2.
Verstorbener kommt als Lebender wieder
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II.1.
Gestaltwandel, shape shifting
Zumeist in regelhafter, zeitlich begrenzter
und der Gestalt nach nicht beliebiger Weise. Die Seele bezieht vorübergehend
einen anderen Leib.
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II.2. Metempsychose
Der Gestaltwandel beendet das bisherige Leben
und lässt es in ein neues übergehen, aber ohne Tod als Zwischenstation, oft jedoch mit
neuer Geburt einhergehend. Die Seele bezieht definitiv einen neuen Leib.
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I.2.1.
Wiederbelebung
Verstorbener wird in seine frühere Existenz
wieder eingesetzt, Sterben wird rückgängig gemacht.
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I.2.2. Wiedergeburt
Verstorbener wird als seine frühere Existenz
neu geboren.
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1.2.3. Reinkarnation, Seelenwanderung
Verstorbener wird als ein anderer neu geboren
- das setzt in der Theorie die Trennung von Seele und Leib voraus. Die
unsterbliche Seele gelangt in einen anderen Leib.
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Anmerkung: Wiederkehr als Toter (I.1.) und
Wiederkehr als Lebender (I.2.1) sind im Umkreis des keltischen (druidischen)
Denkens nichts Ungewöhnliches und oben bereits abgehandelt.
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Anmerkung: Für Wiedergeburt (I.2.2.) ist kein
keltisches Beispiel bekannt, ebenso nicht für Reinkarnation (I.2.3).
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Anmerkung: Die Formen II.1 und II.2 des
Gestaltwandels sind scharf von denen unter I zu trennen, viel schärfer, als das
bisher gesehen wurde, weil sie gar nichts mit dem Tod zu tun haben und somit
nicht diesem großen Komplex des keltischen Denkens zuzuordnen sind. Da sie wohl
aber mitunter etwas mit Geburt zu tun haben, in jedem Fall aber mit neuem Leben
oder neuer Lebensform, sind sie viel eher dem Pol "Mütter"
einzugliedern. (Möglicherweise wird einmal auch II.1 radikaler von II.2 zu
trennen sein, doch ist das derzeit noch nicht zu sehen). Man
lässt sich durch die Erfahrung 'neues
Leben' verleiten, hier eher die Erscheinung I.2.3. zu sehen. Aber die Einsicht (Gyonvarc'h),
dass in vielen Fällen Tod als notwendige Voraussetzung einer
Reinkarnation gar nicht gegeben ist -
diese Einsicht muss konsequent umgesetzt werden.
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