Thesen zur Rekonstruktion der keltischen Glaubensvorstellungen 9
Theses on celtic religion   webmaster@gruenverlag.de    Thèses sur la religion des celtes
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Deistische Schicht

Themen

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NEUES LEBEN

Jene Phänomene, die sich als Wandelgestalten und Metempsychosen zeigen, gehören einer uralten shape-shifter-Tradition an und sind nicht selbstverständlich in ein keltisches Schema einzuordnen. Immerhin lassen sie sich aber als Neues Leben (und Geburten sind ja darunter) leichter der Mütter-Seite als dem Tod zuordnen; denn man muss sie scharf von "Tod und Wiedergeburt" trennen.

WANDELGESTALTEN

Gestalten, die jemand vorüber annehmen kann und die sich gänzlich von der normalen Gestalt unterscheiden, können sein:

Junge Frau, Alte Frau, Seejungfrau sowie die Tiergestalten Wurm, Schmetterling, Aal, Forelle, Lachs, Vogel, Kranich, Gans, Ente, Schwan, Adler, Eule, Amsel, Stier, Kuh, Hirsch, Hindin, Ziege, Schaf, Pferd, Schwein, Rotes Schwein, Wolf, Hund, Katze, Robbe, Hase und schließlich Eiche, Stein und Pfütze.

Eine Systematik lässt sich nur insofern erkennen, als diese Gestalten die Umgebung einer von Landwirtschaft und Jagd bestimmten Gesellschaft widerspiegeln. Ein Zusammenhang zwischen bestimmten Wandelgestalten und bestimmten Personeigenschaften oder Gegebenheiten ist nicht zu erkennen, vielleicht nur wegen der Lückenhaftigkeit der Überlieferung. Man kann aber auch nicht sagen, dass etwa jedes beliebige Tier, das aus der Natur bekannt war, herhalten musste. Dazu fehlen zu viele (Reh, Marder, Maus, Specht, Fuchs) und es werden zu oft die genannten wiederholt.

METEMPSYCHOSE

Wenn der Wandel nicht nur vorübergehend ist, sondern ohne vorheriges Sterben, eventuell aber über eine Neugeburt in ein neues, dauerhaftes Leben mündet, dann kann man von Metempsychose sprechen. So ist es etwa bei Etain, die nacheinander Pfütze, Wurm, Schmetterling und neue Etain ist. So ist es bei Gwion Bach, der über verschiedene kurzlebige Zwischenformen zu Taliesin wird. So ist es bei Tuan, der mehrere vollständige Tierleben durchläuft, bevor er als wieder Mensch ist.

Das Motiv der Verwandlung auf dem Wege über einen Mutterleib (Etain, Gwion Bach) findet sich auch bei der Frau, die glaubt, einen Aal verschluckt zu haben und bei Cuchullain, der dreimal gezeugt und geboren wird.

Das Thema der Wandelgestalten hat wegen seiner erzählerischen Kraft eine gewisse Attraktivität und Popularität, namentlich in den spätmittelalterlichen Fassungen. Es ist dabei jedoch unklar, welche Rolle dieses Thema in der keltischen Kultur und Mythologie Bereich einnahm. Metempsychotische Personen treten insgesamt eher selten auf, und die Wandelgestalten haben vor allem dann eine Bedeutung, wenn sie zwischen der Anderwelt und der diesseitigen Welt wechseln, sie dienen also einer eher technischen Funktion (Transport zwischen den Welten).

MAGISCHE MACHT

Neben das Element des Ursprungs tritt das Thema der Macht. Zahlreich sind die mütterlichen Gottheiten, auffallend unter ihnen sind solche Macht ausübenden Gestalten wie Macha, die Morrigan (was ja große Königin heißen dürfte) in ihren vielen literarischen Brechungen, die sie zwischen Hexe und Fee schillern lassen; die Sonnengöttin Graine; die Scathach; Banann, noch als Banshi furchtgebietend; schließlich die Feen und Hexen der Überlieferungen.

An verschiedenen Stellen wird auch der magische Einfluss von Frauen, etwa Erius oder bestimmter Druidinnen, auf Kriege sichtbar. Llyn y Van fach, die Frau aus dem See, übermittelt magische Heilkräfte.

Die Verbindung von Feen mit Megalithen, wie wir sie in den bretonischen 'roches-aux-fées' finden, hat ihre Parallele in den Grabhügeln, die für Frauen/Herrinnen errichtet wurden: für Taltiu (als Talantio auch eine Erdgöttin) in Meath; für Macha in Emain Macha; für Branwen am Flusse Alaw. Ebenso ist Brug na Boyne eine Verbindung von Grabhügel und Frau. Etain ist nicht nur mit Bri Leith assoziiert, sondern über ihre Magd Cruachan auch mit dem Grabhügel gleichen Namens.

Es ist diese Verbindung von Frauen und Grabhügeln zugleich eine, wo Tod und Mütter einander berühren, Herkunft und Zukunft, Ursprung und Untergang.

SOUVERÄNITÄT

Ursprung und Macht fließen - zumindest ist es so im irischen Bereich - im Konzept von Souveränität zusammen, der von einer Muttergottheit verliehenen irdischen Herrschaft über das Land.

Bestandteile dieser Vorstellung sind einmal die zahlreichen götterhaften Mutterfiguren und das aus etlichen Hinweisen zu erschließende Matriarchat und zum anderen die im vorigen beschriebene magische Macht, wie sie manchen Frauen-/Muttergestalten zugeschrieben wurde.

In Irland galt Eriu als die personifizierte Souveränität über das Land, sie war mit dem Ursprung des Landes verknüpft und ging als Souveränität auf den jeweiligen König über.

Die Übertragung der Königsmacht vollzog sich durch eine Hierogamie a) mit einem Pferd oder literarisch, b) durch die Vermählung mit Medb.

ad a). Die Assoziation von (göttlichen) Frauen und Pferden ist recht häufig: Epona, Etain, Rhiannon, Carman, Modron, Macha, Medb, Ana, Dana. Über Pryderi und seinen Austausch gegen ein Fohlen ist auch Genoveva in diesen Kreis einzubeziehen.

Man kann vereinheitlichend annehmen, dass die Muttergöttin sich auf der Menschenerde durch ein Pferd repräsentieren lässt.

Die Zwillinge, die Macha gebiert, begründen die Herrschaft der Ulter und stehen somit als Symbole für die Übertragung der Souveränität. Etain ist für den Hochkönig Eochaid notwendig, nur durch die Vermählung kann er das Königstum legitimerweise beibehalten.

ad b) Medb war die für viele Könige notwendige Gattin, sie ist assoziiert mit dem Ursprung von Quellen im Lande, sie ist Symbol von Fruchtbarkeit und Symbol der Herrschaft über das Land. Zugleich ist sie mit dem Ruch assoziiert. Bei Vermählungen und Königsriten war der Met (man achte auf das Wort) notwendiger Bestandteil, ein Getränk ( und eine magische Kraft) also, das sie oder Eriu an die Könige austeilte.

Sie hat Parallelen nicht nur in der germanischen Mutter Erde, sondern auch in der altindischen Madhavi. In ihr dürfen wir die dichteste Konzentration von Merkmalen der Muttergöttin sehen.

TOD UND MÜTTER

Einige Themen stehen gewissermaßen am Schnittpunkt von Tod und Müttern, Herkunft und Zukunft, Vergangenem und Zu-Kommendem. Dazu zählen etwa die Verknüpfungen von Frauengestakten und Grabhügeln. Für Taltiu, Macha und Branwen wurden Grabhügel errichtet. Boand und Brug na Boyne (hier kommt auch noch der Wasseraspekt hinzu), Etain und Cruachan und Bri Leith sind weitere Beispiele (wie vermutlich auch der Kasten in welchem Etain als Schmetterling in Oengus' Obhut verweilt). In den rcohes-aux-fées, jenen Megalithen, die Wohnorte der Feen sind, hält sich diese Vorstellung bis dicht an unsere Zeit heran.

In den Schnittbereich gehört auch die Gestalt der Seejungfrau, welche ja nicht eigentlich ursprünglich als Mutter oder Frau anzusehen ist, sondern eher als Botin der Anderwelt. Aber nicht allein durch ihre weibliche Gestalt kommt der mütterliche Aspekt hinzu. Llyn y Van fach und Mari Morgane haben in den verschiedenen überlieferten Geschichten eindeutig mütterliche Rollen und sind dennoch anderweltliche Figuren. Die charakteristische Ur-Mutter Ana kann ebenfalls als Wasserfrau erscheinen.

Die Verbindung von Mutterschaft und Tod ist aus bedeutenden Hinweisen zu erschließen: Die Tötung durch Nachkommen bzw. die Furcht davor sind hier zu nennen (siehe dazu die Darstellung oben). Hierher gehören weiter die Tötung unrechter Kinder, das Verschwinden machen ungewollter Söhne im Wasser. Danas mit einem Menschen gezeugter Sohn Geroid wird in eine Gans verwandelt und verschwindet im Loch Gur - die britische Parallele dazu ist Arianrod und Dylan. Ruadh hat mit einer Frau einen Sohn unter Wasser (Hinweis auf unerwünschte Verbindung von Menschen mit anderweltlichen Wesen), welcher stirbt. Auch der von DianCecht unter dem Arm, das heißt: heimlich getragene Sohn Conaire Mors gleitet ins Wasser. In all diesen Fällen muss ein unrechtmäßig geborener Sohn auf dem Weg durchs Wasser sterben. Man mag darin die Wiedergabe des Kindestötungs-Brauchs sehen, Aber es muss ja bemerkt werden, dass die Darstellung wichtig erschien und gewählt wurde. Allegorisch bedeutet sie jedenfalls den Sieg des Todes über Mutterschaft und Jugend.

Die wichtigsten Manifestationen von Tod und Mutter sind jedoch die vielen, oben bereits abgehandelten Formen von Wiederbelebung, also die unter Ib 1, 2 und 3 systematisierten Fälle.

Sie und die Beispiele zu Tod und Nachkommen, Wasserfrau und Frau und Grabhügel enthüllen eine keineswegs zufällige Berührung der beiden Komplexe Tod und Mütter. So wie Tag und Nacht, Hell und Dunkel, Winter und Sommer nicht unabhängig voneinander existieren, vielmehr Kehrseiten sind, durch Übergänge verbunden sind, so sind auch Zukunft und Vergangenheit, Tod und Mutter keine Polaritäten, sondern einander durchdringende Wesenheiten.

HEILFUNKTION

Als Bestandteil einer der drei zentralen Funktionen der indoeuropäischen Vorstellungen ist die Heilfunktion sicher nicht spezifisch keltisch, hat aber eine hervorragende Rolle. DianCecht, Miach, Brigit sind drei prominente Personifizierungen, welche mit der Heilkunde in Zusammen gebracht werden.

Eine möglicherweise andere Quelle von Heilkunde findet sich im Gesundbrunnen von Gobniu oder in dem Fass (Kessel?), in dem Fraech geheilt wird. Diese Darstellung findet sich auf dem Gundestrup-Kessel, welcher vielleicht ebenfalls ein Heilgefäß war. Auf einen ähnlichen Ursprung verweist auch die Vermittlung medizinischer Kenntnisse und Fähigkeiten durch eine Wasserfrau (Llyn y Van fach). Selbstverständlich spielt hier die Kenntnis von heilenden Wassern, Brunnen und Quellen, die in Britannien auch mit Nodon assoziiert ist, eine Rolle, doch ist zu fragen, ob diese Kenntnis nicht erst von den Römern eingeführt wurde.

Im Zusammenhang von Tod und Mütter kann die Heilkunst eine Art Entscheidungsstelle zwischen beiden Polaritäten darstellen: Krankheit - das ist der Zugriff der Anderwelt auf den noch lebenden Menschen, der erste Schritt zum Tod. Der Versuch, diesen Tod zu verhindern, geht von der Mütter-Seite aus. Deshalb auch ist es die Wasserfrau, die Heilkunst unter den Menschen verbreitet.

Ganz nebenbei wird dabei deutlich, dass die Kelten überhaupt nicht fatalistisch eingestellt waren.

 

 

 

 

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