NEUES LEBEN
Jene Phänomene, die sich als Wandelgestalten
und Metempsychosen zeigen, gehören einer uralten shape-shifter-Tradition an und
sind nicht selbstverständlich in ein keltisches Schema einzuordnen. Immerhin
lassen sie sich aber als Neues Leben (und Geburten sind ja darunter) leichter der
Mütter-Seite als dem Tod zuordnen; denn man muss sie scharf von "Tod und
Wiedergeburt" trennen.
WANDELGESTALTEN
Gestalten, die jemand vorüber annehmen kann
und die sich gänzlich von der normalen Gestalt unterscheiden, können sein:
Junge Frau, Alte Frau, Seejungfrau sowie die
Tiergestalten Wurm, Schmetterling, Aal, Forelle, Lachs, Vogel, Kranich, Gans,
Ente, Schwan, Adler, Eule, Amsel, Stier, Kuh, Hirsch, Hindin, Ziege, Schaf,
Pferd, Schwein, Rotes Schwein, Wolf, Hund, Katze, Robbe, Hase und schließlich
Eiche, Stein und Pfütze.
Eine Systematik lässt sich nur insofern
erkennen, als diese Gestalten die Umgebung einer von Landwirtschaft und Jagd
bestimmten Gesellschaft widerspiegeln. Ein Zusammenhang zwischen bestimmten
Wandelgestalten und bestimmten Personeigenschaften oder Gegebenheiten ist nicht
zu erkennen, vielleicht nur wegen der Lückenhaftigkeit der Überlieferung. Man
kann aber auch nicht sagen, dass etwa jedes beliebige Tier, das aus der Natur
bekannt war, herhalten musste. Dazu fehlen zu viele (Reh, Marder, Maus, Specht,
Fuchs) und es werden zu oft die genannten wiederholt.
METEMPSYCHOSE
Wenn der Wandel nicht nur vorübergehend ist,
sondern ohne vorheriges Sterben, eventuell aber über eine Neugeburt in ein
neues, dauerhaftes Leben mündet, dann kann man von Metempsychose sprechen. So
ist es etwa bei Etain, die nacheinander Pfütze, Wurm, Schmetterling und neue
Etain ist. So ist es bei Gwion Bach, der über verschiedene kurzlebige
Zwischenformen zu Taliesin wird. So ist es bei Tuan, der mehrere vollständige
Tierleben durchläuft, bevor er als wieder Mensch ist.
Das Motiv der Verwandlung auf
dem Wege über einen
Mutterleib (Etain, Gwion Bach) findet sich auch bei der Frau, die glaubt, einen
Aal verschluckt zu haben und bei Cuchullain, der dreimal gezeugt und geboren
wird.
Das Thema der Wandelgestalten hat wegen seiner
erzählerischen Kraft eine gewisse Attraktivität und Popularität, namentlich
in den spätmittelalterlichen Fassungen. Es ist dabei jedoch unklar, welche
Rolle dieses Thema in der keltischen Kultur und Mythologie Bereich einnahm.
Metempsychotische Personen treten insgesamt eher selten auf, und die
Wandelgestalten haben vor allem dann eine Bedeutung, wenn sie zwischen der
Anderwelt und der diesseitigen Welt wechseln, sie dienen also einer eher
technischen Funktion (Transport zwischen den Welten).
MAGISCHE MACHT
Neben das Element des Ursprungs tritt das
Thema der Macht. Zahlreich sind die mütterlichen Gottheiten, auffallend unter
ihnen sind solche Macht ausübenden Gestalten wie Macha, die Morrigan (was ja
große Königin heißen dürfte) in ihren vielen literarischen Brechungen, die
sie zwischen Hexe und Fee schillern lassen; die Sonnengöttin Graine; die
Scathach; Banann, noch als Banshi furchtgebietend; schließlich die Feen und
Hexen der Überlieferungen.
An verschiedenen Stellen wird auch der
magische Einfluss von Frauen, etwa Erius oder bestimmter Druidinnen, auf Kriege
sichtbar. Llyn y Van fach, die Frau aus dem See, übermittelt magische Heilkräfte.
Die Verbindung von Feen mit Megalithen, wie
wir sie in den bretonischen 'roches-aux-fées' finden, hat ihre Parallele in
den Grabhügeln, die für Frauen/Herrinnen errichtet wurden: für Taltiu (als
Talantio auch eine Erdgöttin) in Meath; für Macha in Emain Macha; für
Branwen
am Flusse Alaw. Ebenso ist Brug na Boyne eine Verbindung von Grabhügel und
Frau. Etain ist nicht nur mit Bri Leith assoziiert, sondern über ihre Magd
Cruachan auch mit dem Grabhügel gleichen Namens.
Es ist diese Verbindung von Frauen und
Grabhügeln zugleich eine, wo Tod und Mütter einander berühren, Herkunft und
Zukunft, Ursprung und Untergang.
SOUVERÄNITÄT
Ursprung und Macht fließen - zumindest ist es
so im irischen Bereich - im Konzept von Souveränität zusammen, der von einer
Muttergottheit verliehenen irdischen Herrschaft über das Land.
Bestandteile dieser Vorstellung sind einmal
die zahlreichen götterhaften Mutterfiguren und das aus etlichen Hinweisen zu
erschließende Matriarchat und zum anderen die im
vorigen beschriebene magische Macht, wie sie manchen Frauen-/Muttergestalten
zugeschrieben wurde.
In Irland galt Eriu als die personifizierte
Souveränität über das Land, sie war mit dem Ursprung des Landes verknüpft
und ging als Souveränität auf den jeweiligen König über.
Die Übertragung der
Königsmacht vollzog
sich durch eine Hierogamie a) mit einem Pferd oder literarisch, b) durch die
Vermählung mit Medb.
ad a). Die Assoziation von (göttlichen)
Frauen und Pferden ist recht häufig: Epona, Etain, Rhiannon,
Carman, Modron, Macha, Medb, Ana, Dana. Über
Pryderi und seinen Austausch gegen ein Fohlen ist
auch Genoveva in diesen Kreis einzubeziehen.
Man kann vereinheitlichend annehmen,
dass die
Muttergöttin sich auf der Menschenerde durch ein Pferd repräsentieren lässt.
Die Zwillinge, die Macha gebiert, begründen
die Herrschaft der Ulter und stehen somit als Symbole für die Übertragung der
Souveränität. Etain ist für den Hochkönig Eochaid notwendig, nur durch die Vermählung kann
er das Königstum legitimerweise beibehalten.
ad b) Medb war die für viele Könige
notwendige Gattin, sie ist assoziiert mit dem Ursprung von Quellen im Lande, sie
ist Symbol von Fruchtbarkeit und Symbol der Herrschaft über das Land. Zugleich
ist sie mit dem Ruch assoziiert. Bei Vermählungen und Königsriten war der Met
(man achte auf das Wort) notwendiger Bestandteil, ein Getränk ( und eine
magische Kraft) also, das sie oder Eriu an die Könige austeilte.
Sie hat Parallelen nicht nur in der
germanischen Mutter Erde, sondern auch in der altindischen Madhavi. In ihr
dürfen wir die dichteste Konzentration von Merkmalen der Muttergöttin sehen.
TOD UND MÜTTER
Einige Themen stehen gewissermaßen am
Schnittpunkt von Tod und Müttern, Herkunft und Zukunft, Vergangenem und
Zu-Kommendem. Dazu zählen etwa die Verknüpfungen von Frauengestakten und
Grabhügeln. Für Taltiu, Macha und Branwen wurden Grabhügel errichtet.
Boand
und Brug na Boyne (hier kommt auch noch der Wasseraspekt hinzu), Etain und
Cruachan und Bri Leith sind weitere Beispiele (wie vermutlich auch der
Kasten
in welchem Etain als Schmetterling in Oengus' Obhut verweilt). In den
rcohes-aux-fées, jenen Megalithen, die Wohnorte der Feen sind, hält sich diese
Vorstellung bis dicht an unsere Zeit heran.
In den Schnittbereich gehört auch die Gestalt
der Seejungfrau, welche ja nicht eigentlich ursprünglich als Mutter oder Frau
anzusehen ist, sondern eher als Botin der Anderwelt. Aber nicht allein durch
ihre weibliche Gestalt kommt der mütterliche Aspekt hinzu. Llyn y Van fach
und Mari Morgane haben in den verschiedenen überlieferten Geschichten eindeutig
mütterliche Rollen und sind dennoch anderweltliche Figuren. Die
charakteristische Ur-Mutter Ana kann ebenfalls als Wasserfrau erscheinen.
Die Verbindung von Mutterschaft und Tod ist
aus bedeutenden Hinweisen zu erschließen: Die Tötung durch Nachkommen bzw.
die Furcht davor sind hier zu nennen (siehe dazu die Darstellung oben). Hierher
gehören weiter die Tötung unrechter Kinder, das Verschwinden machen ungewollter
Söhne im Wasser. Danas mit einem Menschen gezeugter Sohn Geroid wird in eine
Gans verwandelt und verschwindet im Loch Gur - die britische Parallele dazu ist
Arianrod und Dylan. Ruadh hat mit einer Frau einen Sohn unter Wasser (Hinweis
auf unerwünschte Verbindung von Menschen mit anderweltlichen Wesen), welcher
stirbt. Auch der von DianCecht unter dem Arm, das heißt: heimlich getragene
Sohn Conaire Mors gleitet ins Wasser. In all diesen Fällen muss ein
unrechtmäßig geborener Sohn auf dem Weg durchs Wasser sterben. Man mag darin
die Wiedergabe des Kindestötungs-Brauchs sehen, Aber es muss ja bemerkt werden,
dass die Darstellung wichtig erschien und gewählt wurde. Allegorisch bedeutet
sie jedenfalls den Sieg des Todes über Mutterschaft und Jugend.
Die wichtigsten Manifestationen von Tod und
Mutter sind jedoch die vielen, oben bereits abgehandelten Formen von
Wiederbelebung, also die unter Ib 1, 2 und 3
systematisierten Fälle.
Sie und die Beispiele zu Tod und Nachkommen,
Wasserfrau und Frau und Grabhügel enthüllen eine keineswegs zufällige
Berührung der beiden Komplexe Tod und Mütter. So wie Tag und Nacht, Hell und
Dunkel, Winter und Sommer nicht unabhängig voneinander existieren, vielmehr
Kehrseiten sind, durch Übergänge verbunden sind, so sind auch Zukunft und
Vergangenheit, Tod und Mutter keine Polaritäten, sondern einander
durchdringende Wesenheiten.
HEILFUNKTION
Als Bestandteil einer der drei zentralen
Funktionen der indoeuropäischen Vorstellungen ist die Heilfunktion sicher nicht
spezifisch keltisch, hat aber eine hervorragende Rolle. DianCecht, Miach,
Brigit
sind drei prominente Personifizierungen, welche mit der Heilkunde in Zusammen
gebracht werden.
Eine möglicherweise andere Quelle von
Heilkunde findet sich im Gesundbrunnen von Gobniu oder in dem Fass (Kessel?), in
dem Fraech geheilt wird. Diese Darstellung findet sich auf dem Gundestrup-Kessel,
welcher vielleicht ebenfalls ein Heilgefäß war. Auf einen ähnlichen Ursprung
verweist auch die Vermittlung medizinischer Kenntnisse und Fähigkeiten durch
eine Wasserfrau (Llyn y Van fach). Selbstverständlich spielt hier die Kenntnis
von heilenden Wassern, Brunnen und Quellen, die in Britannien auch mit Nodon
assoziiert ist, eine Rolle, doch ist zu fragen, ob diese Kenntnis nicht erst von
den Römern eingeführt wurde.
Im Zusammenhang von Tod und Mütter kann die
Heilkunst eine Art Entscheidungsstelle zwischen beiden Polaritäten darstellen:
Krankheit - das ist der Zugriff der Anderwelt auf den noch lebenden Menschen,
der erste Schritt zum Tod. Der Versuch, diesen Tod zu verhindern, geht von der
Mütter-Seite aus. Deshalb auch ist es die Wasserfrau, die Heilkunst unter den
Menschen verbreitet.
Ganz nebenbei wird dabei deutlich,
dass die
Kelten überhaupt nicht fatalistisch eingestellt waren.